Szene für einen Darsteller und eine Darstellerin

(Ein Mann läuft von rechts, eine Frau von links auf die Bühne. Sie treffen circa in der Mitte aufeinander, stoppen ihre Gänge abrupt und beginnen sofort zu sprechen.)

MANN: (vorwurfsvoll) Ach!

FRAU: (ebenso) Da bist du ja!

MANN: Du hast gesagt, du wartest im Wagen.

FRAU: Hab ich das.

MANN: Ja.

FRAU: Woher soll ich wissen, wo du geparkt hast.

MANN: Immer am selben Platz.

FRAU: Woher soll ich das wissen.

MANN: Du hörst nie zu.

FRAU: Niente. Nada. Nichts hast du gesagt.

MANN: Immer am selben Platz.

FRAU: (gereizt) Ich weiss. Das sagtest du bereits.

MANN: Nie hörst du zu.

FRAU: Deine Redebeiträge sind eben nicht sonderlich erfreulich.

MANN: (schnippisch) Ach!

FRAU: (provokant nachfragend) Ach, was?

MANN: (Gnade vor Recht ergehen lassend) Egal. Jetzt bist du ja da.

FRAU: Und wo hast du geparkt.

MANN: Vor dem Supermarkt.

FRAU: Da war ich. Das kann nicht sein. Kein Twingo weit und breit.

MANN: Kein Twingo?

FRAU: Kein Twingo.

MANN: Nein?

FRAU: Weit und breit.

MANN: Weil wir keinen Twingo haben.

FRAU: (plötzlich verunsichert) Keinen Twingo?

MANN: Nein. Einen Opel Corsa. Wir haben einen Opel Corsa.

FRAU: Was wir haben...Das ist ein Opel Corsa?

MANN: Ja.

FRAU: Ich hab gedacht...

MANN: (seinen Trumph der defensiven Frau gegenüber genussvoll ausspielend) Was hab ich gesagt?

FRAU: Ich höre nie zu.

MANN: Exakt.

FRAU: Ein Opel Corsa.

MANN: Wie gesagt.

FRAU: (aufbegehrend) So einen wollte ich nie haben. Ich bin ganz auf Twingo eingestellt.

MANN: Tja.

FRAU: Deine Redebeiträge sind wirklich nicht erfreulich. Überhaupt wirst du von Tag zu Tag unsympathischer.

MANN: Warum hast du mich dann geheiratet?

FRAU: Das frage ich mich seit drei Jahren.

MANN: Obwohl wir erst seit zwei Jahren geheiratet sind.

FRAU: (erneut aufbegehrend) Wir haben vor drei Jahren geheiratet.

MANN: Das ist jetzt nicht dein Ernst.

FRAU: Natürlich haben wir vor drei Jahren geheiratet.

MANN: Du vielleicht. Ich nicht.

FRAU: Das machst du mit Absicht.

MANN: Was.

FRAU: Das weißt du ganz genau.

MANN: Es ist eine Tatsache, dass wir vor zwei Jahren geheiratet haben. (abrupt das Thema wechselnd) Warst du beim Friseur?

FRAU: Ja. Wieso?

MANN: Blond stand dir besser.

FRAU: (beleidigt) Ach, ja? Warum hast du dann gestern nichts gesagt, als ich vom Friseur gekommen bin? Ich habe den ganzen Tag auf irgendein Wort, auf irgendein Zeichen der Aufmerksamkeit von dir gewartet. (nach einer Pause) Verdammt noch Mal.

MANN: Erstens bist du gestern mindestens eine Stunde später nach Hause gekommen, als du gesagt hast. Zweitens hast du mich nicht zu Wort kommen lassen, weil...

FRAU: (dem Mann ins Wort fallend) Bitte was? Ich habe was? Du hast die ganze Zeit von nichts anderem als deiner Arbeit geredet: Versicherungswesen, Policen, Versicherungswesen, Policen, Versicherungswesen, Policen, als wenn es nichts Wichtigeres im Leben gäbe.

MANN: (trocken) Ich arbeite in der Stadtplanung.

FRAU: (nach einer Pause, verunsichert und gereizt) Jetzt sag mir nicht wieder, dass Frauen zu blöd sind, um komplexe Dinge zu verstehen. Wir können abstrakt denken. Wir können rückwärts seitwärts einparken. Und Multitasking ist auch kein Thema.

(Der Mann wendet sich mitteilsam an das Publikum wie an einen Verbündeten, während seine Frau in missmutige Gedanken versinkt, das Publikum dabei aber auch wahrnimmt.)

MANN: Das könnte jetzt noch stundenlang so weitergehen. Die Beispiele, die sie auflistet, um mir zu beweisen, dass wir uns intellektuell, gedanklich und im beruflichen Bereich auf einem Level bewegen. Diesen Wettkampf, der natürlich auf einem Minderwertigkeitskomplex auf Seiten meiner Frau basiert, führen wir nun schon seit unserer Hochzeit, die – das können Sie mir glauben – vor zwei und nicht vor drei Jahren stattgefunden hat. Was soll ich sagen? Ich bin mit einer Frau verheiratet – mit einer von Natur aus blonden Frau, die sich jetzt mit einer dunklen Tönung noch mehr verunstaltet hat als gewöhnlich – mit einer Frau, die nicht nur zu blöd ist, komplexe Abläufe zu verstehen, sondern auch von den einfachen Dingen des Lebens überfordert ist: Sie kann nicht im Wagen auf mich warten, sie hat bis heute nicht die leiseste Ahnung von dem, was ich beruflich mache und ausserdem – und das ist am allerschlimmsten – ist sie nicht in der Lage, mir gegenüber ihre Fehler einzugestehen.

FRAU: (sich ebenfalls an das Publikum wendend) Natürlich hat mein Mann mit allem Recht, was er über mich sagt. Das einzige Problem: Er verschweigt die Hälfte. Und zwar die schlechte Hälfte: seine Unfähigkeit. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie eintönig und langweilig das Leben mit diesem prototypischen Vertreter des männlichen Geschlechtes ist. Mir bleibt gar nichts anderes übrig, als anstrengend, aufmüpfig und hysterisch zu sein, wenn ich nicht in der totalen Vergessenheit versinken will. Tatsache ist, dass er viel arbeitet und dabei viel zu wenig verdient, um mir angemessenen Wohlstand zu bieten, dass er einen unglaublich schlechten Geschmack hat – (höhnisch) ich sage nur: „Blond stand dir besser“ und „Opel Corsa“ - , dass er rechthaberisch ist, langweilig und – nicht zu vergessen - sexuell unterdurchschnittlich befähigt.

MANN: Was bin ich.

FRAU: Sexuell unterdurchschnittlich befähigt.

MANN: (zum Publikum) Das ist jetzt reine Verleumdung.

FRAU: Es ist die Wahrheit.

MANN: Mach dich nicht lächerlich.

FRAU: (genussvoll beharrend) Sexuell unterdurchschnittlich befähigt.

MANN: Mein Gott, ist das armselig, dass du das nötig hast.

FRAU: Ich habe in den drei Jahren unserer Ehe nicht einen einzigen Orgasmus mit dir gehabt.

MANN: (empört) Wir sind erst seit zwei Jahren verheiratet.

FRAU: Nicht ein einziger Orgasmus.

MANN: (verwirrt) Aber Ostern letztes Jahr, da hast du doch einen gehabt. (nach einer Pause) Oder was war das?

FRAU: Das war natürlich gespielt. Und zwar so begabt, dass ich mir für einen Moment selbst auf den Leim gegangen bin.

MANN: Gespielt?

FRAU: Ich habe mit dir noch nie einen Orgasmus gehabt. Und das liegt nicht an mir. (schlussfolgernd) Es liegt an dir.

MANN: (schnell das Thema wechselnd) Du benimmst dich wie ein verzogenes Kind. Und das mit fünfundreissig Jahren.

FRAU: Ich bin einunddreissig.

MANN: Du siehst aus wie vierzig.

FRAU: (empört) Ich bin einunddreissig. Du hast neulich gesagt, ich gehe noch für Mitte Zwanzig durch.

MANN: (böse) Du glaubst doch nicht, dass ich da die Wahrheit gesagt habe...Sieh den Tatsachen ins Auge, Katharina. Du siehst aus wie vierzig.

FRAU: (irritiert) Ich heisse nicht Katharina. Mein Name ist Claudia.

MANN: (ebenso) Nicht Katharina?

FRAU: Nein.

MANN: Nicht Katharina Nerlich?

FRAU: Nein. Claudia Hübbecker.

MANN: Mein Name ist Daniel. Daniel Nerlich.

FRAU: Dann sind Sie gar nicht mein Mann?

MANN: Nein. (nach einer Pause) Und Sie offenbar nicht meine Frau.

FRAU: Das glaube ich nicht.

MANN: Aber es stimmt. Wenn ich genau hinsehe, sehen Sie ganz anders aus als sonst.

FRAU: Sie auch.

MANN: So was.

FRAU: Ja.

FRAU: (nach einem verlegenen Schweigen, plötzlich interessiert) Leiden Sie unter verfrühtem Haarausfall?

MANN: Nein.

FRAU: Sind Sie auf dem Rücken behaart?

MANN: Nein.

FRAU: Kettenraucher?

MANN: Nein.

FRAU: Alkoholiker?

MANN: Nein.

FRAU: Schlagen Sie Ihre Frau?

MANN: Sehe ich so aus?

FRAU: Nein. Eben deshalb frage ich.

MANN: (nach einer längeren Pause, vorsichtig) Und Sie? Betrügen Sie Ihren Mann mit anderen?

FRAU: Nein. Ich bin treu. Ganz im Gegensatz zu meinem Mann.

MANN: (erleichtert, wieder zu Form auflaufend) Eine so schöne Frau wie Sie würde ich nie betrügen.

FRAU: (offensiver werdend) Ihre Frau muss sehr glücklich mit Ihnen sein.

MANN: Wir leben in Scheidung.

FRAU: (flirtiv) Das tut mir sehr leid.

MANN: (nach einem intimen Blickkontakt) Und Sie? Glücklich?

FRAU: Ich bin gar nicht verheiratet.

MANN: Aber Sie haben das Gegenteil gesagt.

FRAU: Habe ich das?

MANN: Das muss Schicksal sein.

FRAU: Definitiv.

MANN: Ich liebe Sie.

FRAU: Ich liebe Sie auch.

(Ein bedeutungschwangerer Moment. Sie kommen sich näher, küssen und umarmen sich, oder dergleichen.)

MANN: Gehen wir zu Ihnen oder zu mir?

FRAU: Zu mir geht nicht. Mein Mann kommt jeden Augenblick von der Arbeit.

MANN: Kein Problem.

(Er greift sehnsüchtig nach der Hand der Frau und schlendert mit ihr Richtung Ausgang. Sie sprechen im Gehen weiter.)

MANN: Wie war noch mal Ihr Name?

FRAU: Johanna.

MANN: Und meiner Paul. (überschwenglich) Ich bin ganz durcheinander vor Glück.

FRAU: (selig) Und das ist erst der Anfang.

(Black. Ende.)