ROMANAUSZUG

Jupiter (Exzerpte aus Kapitel 2 und 3)


2.

(...)
Die sanitären Anlagen in Pedros Lokal sind äußerst geschmackvoll. Hier hatte ein Innenarchitekt den zur Verfügung stehenden Raum klug eingeteilt, lindgrün fliesen und kacheln lassen und trotz der geringen Quadratmeterzahl zwei Handwaschbecken und zur Rechten drei Toilettenkabinen unterbringen können. Links befanden sich jene Installationen, die dem, der es wünscht, das Urinieren im Stehen ermöglichen. Ich könnte das nicht.
Dort stand mit mir zugewendetem Rücken ein Mann in einer roten, geschmackvoll gewirkten Hose, den ich im Lokal nicht wahrgenommen hatte.
Ich ergoss mein Erbrochenes in so großen Mengen über die Toilette, die der Tür am nächsten war, dass ich befürchtete, es bliebe nichts von mir übrig außer der Haut, die ich zu retten hatte, wenn dem Volksmund Glauben zu schenken ist, woran ich im allgemeinen nicht zweifle.
Ich hatte vergessen, den Deckel anzuheben, so dass sich eine mit hühnereigroßen Segmenten durchsetzte, nach Fisch riechende Flüssigkeit über das WC ergoss, das schon vorher nicht wirklich sauber gewesen war, wie ich mit einem hausfraulichen Blick festgestellt hatte. Ich nahm mir vor, mich mit meinem vor mir liegenden Teil meiner Selbst auseinanderzusetzen, sobald mein Befinden sich wieder gebessert haben würde.
Ermattet hob ich den Toilettendeckel. Die darauf befindlichen Lachen von Erbrochenem bahnten sich ihren Weg zum vorbildlich gefliesten Boden. Mein Blick fiel auf eine WC-Ente, die mich, wie mir schien, höhnisch ansah.
War ich das auch? War ich auch dieser Geruch von Unverdautem, von dem mir übel wurde?
Ich hoffte, mein Innenleben möge anders aussehen als das, was da aus mir herausgekommen war. Die inneren Werte wurden doch von der mich umgebenden, gut aussehenden Allgemeinheit als entscheidend bezeichnet, aber worin ich hier kniete, das schien mir nach gründlicher Reinigung mit einem Scheuerpulver zu schreien, das die Umwelt nicht belastete, sondern im Gegenteil rückhaltlos von ihr abgebaut wurde.
Ich identifizierte mich mit diesem Scheuerpulver.
Ich wollte kein Ladenhüter sein, aber nach mir bestand keine Nachfrage.
Was sollte ich Pedro sagen, der ohnehin nicht mehr mit mir sprach?
Geschwächt wie ich war, stellte ich fest, dass Tränen an meiner Gesichtsoberfläche herabliefen. Ich sah vermutlich unmöglich aus. Dafür schämte ich mich.
Später war ich geradezu entstellt.
Der eine türkische Mitbürger mit dem weißen Oberhemd, das ich dem schwarzen vorzog, hatte mich offenbar sympathisch gefunden, denn er war mir zu den sanitären Anlagen gefolgt. Er stieß meinen unvorbereiteten, angriffleichten Kopf in die Toilettenschüssel, riss meine ohnehin befleckte, aber mit dem richtigen Waschmittel zu rettende rote Steghose herunter und rammte mir seinen Unterarm in den Anus.
Ich vermutete zumindest, dass es sein Unterarm war. Genauso fühlte es sich an.
Ich habe keinen sehr engen Anus bzw. festen äußeren Schließmuskel, stehe jedoch der periodischen Anwendung von Gleitschutzmittel nicht ablehnend gegenüber. Es gibt da einige preisgünstige und dennoch zweckdienliche Fabrikate, von denen ich immer einen Vorrat zu Hause habe. Durch den Erwerb eines Gleitschutzmittels in harmonischen Intervallen verhelfe ich einem Wirtschaftszweig zu Rentabilität, leiste meinen persönlichen Beitrag zur Steigerung des landeseigenen Bruttosozialproduktes und somit zum Ansehen Deutschlands im Ausland und sichere die Arbeitsplätze, die ich selbst gerne hätte, aber niemals erhalten werde. Was will ich mehr?
Seine Stöße bereiteten mir keine Schmerzen. Ich bin nicht fremdenfeindlich.
Dann trat der andere türkische Mitbürger ein, der das schwarze Oberhemd trug.
Ich freue mich über jede Form des Kontakts. Es hat keinen Sinn, sich gegen die Außenwelt aufzulehnen, von der man dann doch nur abgelehnt und auf eine Innenwelt zurückgeworfen wird, in der man sich nur mit einem Mann auskennt. Dennoch will man einen Mitmenschen nicht in sich hineinlassen, weil die Gefahr besteht, dass er einen aus sich selbst hinauswirft, wenn er sieht, was man innen alles in sich hat.
Ich will mich nicht beschweren. Die Stöße waren erträglich, aber der Aufprall meines Kopfes auf die WC-Keramik machte mir schwer zu schaffen. Wie ich später mit Blick in einen Spiegel feststellte, trug ich blauanlaufende Flecken auf der Stirn davon. Ich lernte im weiteren aber bereitwillig, sie wie eine Auszeichnung oder ein Rangabzeichen zu tragen, denn schließlich waren sie ein Resultat der Leidenschaft, die niemals schlecht ist und anderen Menschen, die ihr Leben nicht ausleben, immer verwehrt bleiben wird.
Noch nie hatte ich in einer derart verunreinigten Umgebung Geschlechtsverkehr ausgeübt. Ich befürchtete, der Dreck um mich herum könne auf mich abfärben.
Es kam mir deshalb mehr als gelegen, dass Pedro unter maßlosen, aber angemessenen Vorwürfen seinen Weg zu unserer kleinen Runde gefunden hatte. Er schleuderte mehrere Lagen von Wischtüchern sowie eine milde Scheuermilch ohne Phosphate bei einem Anteil anionischer Tenside von unter fünf Prozent in meine Richtung, was ich aufmerksam fand und dankbar registrierte. Ich fand es schön, dass er wieder mit mir redete und auf mich reagierte. Fast war es wie früher. Mein Kopf war zwischen Toilettenbrille und -deckel eingezwängt, aber pflichtbewusst und sichtbehindert begann ich dennoch augenblicklich, den Auswurf meines schwer umweltverträglichen Organismus zu entfernen. Ich bin immer in angenehmer Stimmung, wenn ich mich vor einer Aufgabe befinde, die mich auf mich selbst aufmerksam macht. Eine Selbstaufgabe.
Alle standen um mich herum.
Den einen schien das nicht zu stören.
Zum ersten Mal hörte ich die Stimme des anderen. Ich hatte sie mir anders vorgestellt.
Was hatte ich erwartet.
Ich stand im Mittelpunkt. Selbst mein Körper sah auf mich herab.
Von dem Schlafzimmerfenster meiner Wohnung aus hatte ich bis vor kurzem auf eine Baustelle gesehen. Die Sonne versank hinter Baggern und Lastkränen, und manchmal stand da ein Mann hinter einem Pressluftbohrer, den er beidhändig vor schulterbreit gespreizten Beinen hielt. Ich blieb regungslos und konnte beobachten, wie der Asphalt aufplatzte und brach, während der Bohrer bis zum Anschlag stahlhart in ihn eindrang.
Dann kam der andere.
Der abweisende Geruch, der aus der Toilettenschüssel zu meiner empfindlichen Nase vorgedrungen war, unterstützte meine latent vorhandene Übelkeit. Zum Glück hatte ich meinen Magen bereits entleert.
Jedenfalls glaubte ich das.
Ich wusste nicht, ob ich mich auf mich verlassen konnte; immerhin hatte ich mich bereits falsch verhalten. Ich wusste zwar nicht ganz genau, was vorgefallen war, aber falls etwas vorgefallen war, hatte ich mich bestimmt falsch verhalten.
Ich fühlte das.
Von Pedro hatte ich Einlass erhalten. Die türkischen Mitbürger hatten mir Zuneigung gezeigt. Und ich hatte mich übergeben.
Nun wurde zurecht eine Gegenleistung meiner Leistengegend verlangt.
Als ich aus dem Toiletteninneren auftauchte und mich umblickte, bemerkte ich, wie der türkische Mitbürger mit dem schwarzen Oberhemd zwanzig bis zweiundzwanzig blutgefüllte Zentimeter in einen Körper versenkte, der offensichtlich meiner war.
Irgendwie mußte die Verbindung zu mir verloren gegangen sein.
Ich wußte nicht, wie ich das finden sollte.
Glücklicherweise wurde ich auf den Rücken gedreht, so dass ich Gelegenheit hatte, Blickkontakt aufzunehmen. Die drei reichten sich Hände wie Staffelhölzer und schienen sich ausnehmend gut über das Ziel zu amüsieren, das sie vor Augen hatten; ihre Gesichter spiegelten die erregende Anstrengung einer ihnen unerlässlichen Pflichtübung wieder, der nie eine Kür folgen würde, und ihr schiedsrichterliches Stöhnen gab der Lust an Spitzenleistung akustischen Ausdruck, für die ich ohne weiteres bereit war, Höchstnoten zu verteilen. Sie sahen aus wie Olympiasieger. Sie lachten. Sie machten sich über etwas lustig.
Sie schlugen mich nicht. Hieß das, dass ich mich nicht disqualifiziert hatte? Dass sie mir verziehen hatten?
Gastfreundlich gewährte ich Pedro den fünfzehnten Verkehr.
Abgesehen von seinem mediterranen Teint und seinem Kleidergeschmack, den ich schon erwähnte, erinnerte er mich vom äußeren Erscheinungsbild her auf das Angenehmste an meinen Vater, der er auch altersmäßig hätte sein können. Die Ähnlichkeit war fatal. Ich hatte mich ihm von Anfang an freiwillig verpflichtet gefühlt.
Ich fühlte nichts, aber ich fühlte mich gut. Ich bestand ganz einfach darauf, mich gut zu fühlen.
Ich wollte nicht unhöflich sein. Ich fand gute Umgangsformen unerlässlich, weshalb ich Lustlaute unter virtuoser Beimengung anfeuernder Appelle, die sich andere ausgedacht und allgemein verordnet hatten, von mir gab. Eigentlich aber spürte ich überhaupt nichts.
Es gibt Schlimmeres, als nichts zu spüren.
Ich halte die Schmerzen nicht aus, wenn ich bei mir bin.
Ich verlasse mich gerne auf andere und lasse mich allein.
Mein Körper musste betäubt worden sein, wie es vor einem chirurgischen Eingriff üblich ist, der bei mir zum letzten Mal mit dreizehn Jahren vorgenommen wurde, als man mir einen Leberfleck am linken Oberarm entfernte. Die daraus resultierende Narbe ist zum Glück so gut verheilt, dass sie sich dem unvorbereiteten Auge nicht zu erkennen gibt.
Ich blickte vom Operationstisch hinab, hatte aber nicht die Kraft, ein blutstillendes Mittel zu verlangen. Vielleicht wäre das auch unnötig gewesen. Vielleicht war der Blutstrom, der sich aus meinem Darmausgang ergoss, nicht beängstigend. Er sah aber beängstigend aus. Ich fühlte wie eine Frau. Ich hoffte, dass mit dem Blut alles Schlechte aus mir herausfließen würde.
Pedro störte mein Ausfluss überhaupt nicht. Im Gegenteil stimulierte er ihn, wie ich seinem rhythmisch herausgestoßenen Loblied auf meine Hüften und Brüste entnehmen konnte. Aus seinen finalen Stößen, auf die er angestrengt hingearbeitet hatte, schloss ich, dass er sich offenbar mit absoluter Entschiedenheit in mir entlud.
Er hätte mich verachten können, aber ich machte ihm nichts aus. Ich spürte, wie Dankbarkeit unkontrolliert in mir aufstieg. Mir wurde wieder übel.
Ich erbrach mich auf meinen Bauch. Diesmal war es ein beißend riechender, zähflüssiger Brei, der, wie ich vermutete, zu großen Teilen mit Magenfermenten durchsetzt war.
Ich hatte kein Gefühl einer Befreiung; ich fühlte mich von mir selbst übervölkert. Wer hatte mich zum Einwanderungsland erklärt?
Und warum kam niemand?
Am liebsten hätte ich mich in Brand gesetzt, um all die inneren Fremdkörper zu zerstören, die diesen Gestank in mir verursachten, den ich nicht verstand. Mein Körper war mein Heim, in dem ich es behaglich haben wollte. Ich wollte meine Vorhänge geöffneten Auges zuziehen können und bestand darauf, immer wieder bei mir anzukommen, egal wohin ich mich wendete auf meiner Reise durch eine gesellschaftliche Gemeinschaft. Ich wollte nichts mehr absondern, was dann von meinen Mitmenschen zu Recht aussortiert werden müßte. Im Gegenteil: Ich wollte Einheitlichkeit. Dann erst würde ich mich gut fühlen und für gut befunden werden. Ich wollte gut sein. Im Moment war mir schlecht. Ich war schlecht. Schuldig.
Pedro hatte sich von mir abgewendet.
Gerade wollte ich zu einer Entschuldigung ansetzen, als ich sah, wie alle drei zum Ausgang strebten. Pedro hatte als Wirt auszuführende Pflichten vor sich, die er offenbar umgehend erledigen und nicht vernachlässigen wollte. Zum Beispiel hatte er sich um die letzten Gäste zu kümmern, die sich doch unter Umständen noch im Tresenraum befanden, um dort der Dinge zu harren, die nie kamen. So vermutete ich zumindest.
Strenggenommen war alles meine Schuld.
Hoffentlich hatte niemand Geld aus der Kasse gestohlen, die er wegen mir unbeaufsichtigt zurückgelassen hatte.
Es wäre nicht nötig gewesen, mich darauf aufmerksam zu machen, dass ich sauberzumachen hätte. Ich fand das selbstverständlich. Sollte ich etwa einen schlampigen Eindruck hinterlassen haben? Entsetzlich.
Ich freute mich, als ich bei genauerem Hinsehen sah, dass neben den diversen Wischtüchern von, wie ich bereits festgestellt hatte, hoher Saugfähigkeit auch ein Qualitätsschrubber und die preisgünstige milde Scheuermilch, die natürlich phosphatfrei war und deren Anteil anionischer Tenside unter fünf Prozent lag, zu meiner Verfügung standen. Ich hatte sie immer schon einmal ausprobieren wollen. Pedro hatte wirklich an alles gedacht. Er hatte an mich gedacht.
Ich wollte sofort anfangen, die Summe seiner Anordnungen in Qualitätsergebnisse umzusetzen, aber irgendwie konnte ich es nicht. Etwas, das ich nicht fassen konnte, sprach dagegen. Was sollte das nun wieder bedeuten an diesem Tag, von dem ich mich in jeder Hinsicht überfordert fühlte? Alles hatte seinen Abschluss in einer allgemeinen Befriedigung gefunden, aber ich weinte, weil ich mich einsam fühlte.
Andere Menschen hatten nicht einmal Eltern.
Ich hatte eine Mutter.
Ich hatte einen Vater, den ich nicht mehr sah, seit er zu seinem Kuraufenthalt aufgebrochen war.
Ich nahm mir vor, mich anzuziehen.
Dann kam der Mann in der geschmackvoll gewirkten roten Hose auf mich zu.
Ich brach zusammen.

3.

„Afterjucken, das Gefühl, hinten nicht gänzlich sauber zu sein, das quält.“
Das war es, was er sagte, als ich wieder erwachte.
Ich war entschieden seiner Meinung. Mit ihm konnte man reden. Er war ein Mann, der es so sagte, wie es ist. Die meisten Menschen tauschen nur Oberflächlichkeiten aus, aber er legte Wert auf Inhalte, mit denen sich etwas ausdrücken ließ.
Wie ich.
Ich wischte derweil den Boden. Die mir zur Verfügung stehenden Waffeltücher, die ich bis vorhin Wischtücher genannt habe, saugten das Erbrochene gut auf, das ich, indem ich den nassen Webstoff unter fließendes Wasser hielt. Ich entsorgte alles ins Toiletteninnere, nicht ohne zuvor die hühnereiergroßen Stücke einer genaueren Untersuchung unterzogen zu haben. Sie ließen sich ohne weiteres als wenig zerkaute Fischleiber, die mich insgesamt 3,28 DM gekostet hatten, identifizieren. Sie waren, wenn auch aufgrund des Kauprozesses in Segmente zerlegt, immer noch als ein zusammengehöriger Körper zu erkennen. Exakt so fühlte ich mich.
Trotz der Magenentleerung hatte meine Übelkeit eher zugenommen, nicht zu vergessen die Darmblutung, die zwar vermindert, aber nicht verebbt war. Wie ich feststellen konnte, war das zusammengerollte Toilettenpapier, das ich mir wie einen Tampon in den Anus eingeführt hatte, immer noch sanft gerötet. Nur aus Not und Improvisationslust heraus und unter Berücksichtigung des eingeschränkten Angebots hatte ich zu diesem lediglich zweilagig geprägten, unter Zusatz von Bleich- und Farbmitteln hergestellten Tissue-Papier gegriffen: ein Produkt minderer Qualität, das in meinen Haushalt keinen Einlass finden würde.
Ich fand es vernünftig, dass Pedro aus Gründen der Sparsamkeit auf ein zweilagiges Papier zurückgegriffen hatte, aber ich ganz persönlich erwarte von einem guten Toilettenpapier hohe Saugfähigkeit, Reißfestigkeit sowie ansprechende Farbgebung. Natürlich bei gleichzeitiger Umweltverträglichkeit. Das ist meine Meinung, und dazu stehe ich.
Ein Mann muss eine Meinung haben.
Darüber waren der Mann in der geschmackvoll gewirkten roten Hose und ich ins Gespräch gekommen. Ich erfuhr, dass Toilettenpapier erst 1870 in den USA patentiert wurde. Bis dahin benutzten die Menschen Zeitungen. Ich lese nicht einmal Zeitung.
Ich lebe.
Meine aufgeschlagenen Augen sahen in eine Welt hinaus, die immer noch anwesend war. Ich fand, dass sie wie ein Wachhund um mich herum streifte. Ich wusste nicht, ob sie mich schützte oder angriff. Ich fühlte mich verloren.
Ich habe Angst vor Veränderung, aber manchmal auch vor Anwesenheit. Gleichzeitig habe ich immer das Gefühl, es nicht bis zum Ausgang zu schaffen und erteile mir Ausgangsverbot.
Ich bleibe bei mir in meinen vier Wänden, die auf einem Fundament gebaut sind, das mich auf sich nimmt.
Dann stellte ich fest, dass ich nackt war. Er hatte die Zeit meiner Abwesenheit nicht sinnlos verstreichen lassen, sondern sie dazu genutzt, meine feuchten, verschmutzten Sachen zum Trocknen auszubreiten. Ich sah den Mann an, ausgezogen wie ich war, und fand seine Vorgehensweise sehr vernünftig und auch verantwortungsvoll, da ich mir sonst vermutlich eine Erkältung zugezogen hätte, was absolut entgegen meinen Absichten gewesen wäre. Um jeden erschwinglichen Preis wollte ich eine Schwächung meiner Abwehrkräfte durch angriffslustige Außenwelteinflüsse vermeiden.
Er trug ein offenes, rotes Sommerhemd mit kurzem Arm und eine im identischen Ton gehaltene Sporthose aus leichtem Leinenstoff, eine modische und dennoch hervorragend verarbeitete Textilie, die ich in meiner Zeit als Einzelhandelskaufmann in einem traditionsreichen Herrenbekleidungsgeschäft mit Niveau meinen männlichen Kunden stets auf einnehmende Weise empfohlen hatte, da sie waschecht, pflegeleicht, strapazierfähig und dabei verblüffend preisgünstig war. Ein Jahr lang hatte ich nicht mehr an sie gedacht, die Textilie. Und nun sah ich sie wieder, gezogen über männliches Fleisch.
Das konnte kein Zufall sein. Das war vielleicht Schicksal.
Und nur eine von vielen Gemeinsamkeiten.
Ich hatte die mich umgebende Verunreinigung allein verursacht, und deshalb hätte ich die Hilfe, die er mir nicht anbot, aus Gründen der Pietät abgelehnt. Während ich zur milden Scheuermilch ohne Phosphate griff, deren Anteil an anionischen Tensiden unter fünf Prozent lag, hatte ich das Gefühl, dass nicht nur die sanitären Anlagen hygienisch rein werden würden. Ich schämte mich nicht mehr für mein Adamskostüm; vielmehr bewegte ich mich im putzstreifenfreien Zustand paradisischer Unschuld.
Er sagte mir, wie schön ich aussähe.
Ich entfernte den Toilettenpapierwickel aus meinem After, der immer noch eine Rotkoloration aufwies. Er hatte bereits einen Ersatz gerollt, den er mir fingerfertig einführte.
Der erste Liebesdienst.
Er erregte sich.
Er sagte, er verstehe nicht, weshalb in der heutigen Zeit feuchtes Toilettenpapier in Plastikboxen hergestellt und gekauft würde. Diese Papiere enthielten gesundheitsschädliche halogenorganische Verbindungen aus Konservierungsmitteln sowie bedenkliche Polyethylenglykole, die am Enddarm zu Kontaktekzemen führen würden.
Ich verstand ihn so gut. Ich war ganz seiner Meinung. Wozu drum herum reden. Jemand musste es doch einmal aussprechen. Auf gut deutsch.
Feuchtes Toilettenpapier. Ein Thema, über das es für mich keine zwei Meinungen geben konnte.
Hier handle es sich doch wieder einmal um eine Produktgruppe, die sich selbst einen Markt schaffe, sagte ich, während ich befriedigt auf die bakterienfreie Sauberkeit der Toilettenkabine blickte, die ich von mir selbst gereinigt hatte.
Ich fühlte mich frei.
Ich stand auf, ohne auch nur einmal den Blick von ihm abzuwenden. Wir diskutierten, warum kein Hersteller feuchten Toilettenpapiers umweltfreundliches Altpapier verwende und alle Zellstofftücher obendrein gebleicht und parfümiert seien. Ich erfuhr, dass ihm eine Drogerie gehöre, welches Futter seine Hunde bevorzugten, dass Fleisch Gehirnnahrung sei und dass seine kleine Tochter ebenso wie seine Frau, von der er gerade geschieden worden sei, mit Liposomen angereicherte Hautcremes benutzten, um vorzeitiger Faltenbildung vorzubeugen.
Er versprach mir, mich einmal zu sich einzuladen, um über Hautcremes zu diskutieren.
Noch nie hatte ich soviel über jemand erfahren.
Ausgenommen vielleicht meinen Vater, den ich nicht mehr sah, seit er zu seinem Kuraufenthalt aufgebrochen war.
Ich nahm mir vor, mich auf das Gespräch vorzubereiten. Ich wollte nicht als ungebildet gelten und plante insgeheim, sämtliche Hersteller von in Deutschland erhältlichen Hautcremes auswendig zu lernen. Ich würde sie im wohltuenden Schlaf, den ich nur selten habe, aufsagen können. Wir schwiegen, aber ich spürte auf berührende Weise, wie wir immer übereinstimmten.
Meine rote Steghose und mein schwarzes Seidenhemd, auf das ich in meiner Ausbildungszeit zwanzig Prozent Rabatt erhalten hatte und das zum ersten Mal nicht topgepflegt aussah, waren immer noch feucht, aber das Erbrochene begann unter der Einwirkung meiner Hände abzubröckeln. Das Stehen strengte mich an.
Die Blutungen schienen wieder zugenommen zu haben. Ich schloss dies aus dem warmen Strom, der sich entlang meiner Innenschenkel einen zielstrebigen und abschüssigen Weg bahnte. Im Gegensatz zu ihm, der meine Beine augenblicklich unter Zuhilfenahme des zweilagigen Tissue-Toilettenpapiers von minderer Qualität zu reinigen begann, war ich peinlich berührt, als ich bemerken musste, dass es sich bei meinem Ausfluss nicht um Blut, sondern um Stuhl handelte. Um Diarrhoe. Eine Folgeerscheinung des Analverkehrs, der in mir ausgeführt worden war. Ihn schien das nicht zu stören. Im Gegenteil interessierte er sich immer mehr für mich. Das Erregende an mir sei meine Hilfsbedürftigkeit, die sich wie eine körperliche Behinderung vor ihm abbilde, gestand er mir unter ansteigendem Stöhnen und gleichzeitigem Reiben auf meinen Schenkeln. Meine Gebrechen machten mich für ihn zum passenden Partner. Den perfekten Partner habe er zwar gerne vor Augen, am liebsten aber auf Papier, so dass er ihn umblättern könne. In das Leben des Behinderten, des Unvollständigen könne er sich erregt hineinbegeben. Dem Behinderten fehle das, was er selbst, so sagte er, abzugeben habe. Und ihm ginge es gut dabei, denn er habe sogar zuviel von sich.
Mit einem schüchternen Augenaufschlag nahm ich ihm das stuhlgetränkte Papier aus der Hand. Endlich wusste ich, was ich war. Ich war glücklich, behindert zu sein. Wenn es seinem Wunsch entsprach, würde mein Rollstuhl für ihn in eine immer richtige Richtung rollen. Ich wäre endlich frei von Verantwortung und nur ihm verpflichtet.
Er wisse um seinen angemessenen Preis, sagte er schwer atmend. Er wisse, was er wert sei, auch wenn alle behaupteten, wir befänden uns im Inneren einer Wertekrise. Er glaube bedingungslos an sich, verstehe aber nicht, warum Frauen das nicht täten, die leider keine Rippe mehr brauchten, aus der heraus sie geformt würden. Lebenspartner würden nicht mehr lehmgeformt. Die heutigen Frauen, die das männliche Geschlecht hässlich fänden, auf das sie nach dem neuesten Stand der Wissenschaft auch nicht mehr neidisch wären, seien nicht mehr zur Aufnahmefähigkeit bereit. Angst ersetze in der Zwischenzeit beim Mann Erregung. Er habe ein Ehrenzeichen zwischen den Beinen, für das niemand mehr den Preis zahlen wolle, der auch ihm selbst mittlerweile viel zu hoch sei. Erneut sagte er, ich sei erregend.
Er habe das Gefühl, es sei Liebe und wie gerne er eine Spritztour mit mir unternehmen würde und mir zeigen, wo hinaus es partnerschaftlich gehen könne. Seine geschlechtsspezifische Sicht auf die Welt verfüge über eine großen Innenraum, der auch mir Beinfreiheit gewähre. Sein Atem ging stoßweise; ich hielt meinen an. Sollte ich auf seinem Beifahrersitz Platz nehmen, während er das Steuer in Händen hielt?
Ich wendete mich um und sah ihn an, den Mann, der mir gerade einen Antrag gemacht hatte.
Er kniete vor mir in einer Pfütze aus Stoffwechselendprodukten, die seitlich in Stuhlwasser auslief, und sah mich mit farb- und wimpernlosen Augen an, die in einem flächigen, verquollenen Gesicht versanken, das aussah, als würde er niemals erwachen. Sein rotblondes, dünnes Haar, das auch auf der Brust vereinzelt spross, klebte feucht im Nacken, der eigentlich nicht vorhanden war; der Kopf schien übergangslos in den Körper überzugehen, der mit einer rosigen, wundgescheuerten Haut mit Tendenz zur Neurodermitis überzogen war. Ich sah genauer hin.
Die aus dem lippenlosen Mund laufenden Speichelfäden rissen ab und landeten auf seinem Bauch, hinter dem der Mann wie in einem Versteck verborgen war. Diese Fleischmassen hätten sein Geschlecht vollständig verdeckt, wenn nicht seine linke Hand sie mit kurzen Fingern ergriffen, gerafft und gehoben hätten, um der masturbierenden rechten Bewegungsfreiheit zu gewähren.
Ich sah genauer hin, aber ich mußte nicht genauer hinsehen.
Ich wußte: das ist der Mann fürs Leben.
Unterhalb eines ebenfalls rotblonden Schamhaarschopfes erblickte ich seinen Penis, dessen schlaffe Schwellkörper er mit zwei Fingern geschäftig in verschiedene Richtungen bemühte, wobei in Säcke gehüllte Hoden von ungeheuren Ausmaßen vor- und zurückschwangen. Sein Glied war klein und verschrumpelt wie Fallobst, versteifte sich aber, als ich seine birnenförmigen Brüste zu schütteln begann. Ich starrte geöffneten Mundes auf die überschüssige, kraus auslaufende Vorhaut wie in ein Karpfenmaul. Als Kind habe ich oft Karpfen zu mir genommen, die bekanntlich bis zu einem Meter lang und dreißig Kilo schwer werden können. Man nennt den Karpfen das Schwein unter den Fischen, weil er nichts verwirft, was ihm vor das Maul kommt. Nach drei Jahren haben die jungen Karpfen ein Gewicht von zwei bis drei Kilo und damit eine ideale Größe für die mundgerechte Zubereitung im Kochtopf erreicht. Das feinste Fleisch aber sollen die unfruchtbaren Karpfen haben, sagt man. Kastration finde ich unmenschlich. Ein Mann ist kein Mensch mehr, wenn er kein Mann mehr ist.
Karpfenmilch, das Sperma des männlichen Karpfens, gilt als ganz besondere Delikatesse, sei sie auf ungarische, Villeroi- oder Kardinalsart serviert. Die Zubereitungsart ist mir gleichgültig, solange alles mit Liebe angefertigt wird, die durch den Magen geht. Meinen hatte ich entleert, aber ich spürte das Bedürfnis, ihn mit Gefühlen eines anderen wieder aufzufüllen. Ich hatte Flüssigkeit in unvernünftigen Mengen verloren. Ich war ausgelaufen. Alles war mir zuviel gewesen, aber auf einmal hatte ich neue Antriebskraft vor Augen. Ich bekam Appetit. Ich fühlte mich mir gegenüber verpflichtet, wieder etwas zu mir zu nehmen, damit ich nicht mit leerem Tank auf halber Strecke stehenbleiben würde. Ich führte den Zapfhahn ein. Er gab Lebenssaft ab, und ich funktionierte wieder wie geschmiert, als er in mir runter ging wie Öl.
Ich finde, es wird gegessen, was in den Mund gelangt, damit es nicht auf den Tisch kommt.
Manchmal habe ich Angst, dass mir sonst ein Marsch geblasen wird, den ich nicht in den Mund nehmen möchte.
Es war Freitag. Und Freitag ist Fischtag. Ich entfernte die Pfütze.

Ich stieß nach ihm auf.
Ich küsste ihn.
Ich zog uns an.
Dann gingen wir gemeinsam.

Jupiter: Residenz Verlag, Salzburg und Wien 1999